Donnerstag, 16. Oktober 2008

Zur Lage der Partei DIE LINKE in Dresden

Initiative Demokratischer Sozialismus Dresden

DIE LINKE – Stadtverband Dresden


Erklärung der Initiative Demokratischer Sozialismus:

Zur Lage der Partei DIE LINKE in Dresden

Anlässlich des am 18. Oktober stattfindenden Stadtparteitags erklären wir:

1.

Der Parteitag wurde auf Verlangen einer von mehr als achtzig Genossinnen und Genossen unterzeichneten Basis-Initiative einberufen. Die Forderung nach einer Bilanz der Arbeit des Stadtverbandes, insbesondere des Stadtvorstandes bestimmte die Intention der Unterzeichner. Sie wendeten sich mit einem offenen Brief und einer Fragebogenaktion an die Mitglieder und nahmen so ihre satzungsgemäßen Rechte wahr.

Der Umgang des Stadtvorstands mit dieser Initiative – der bis zum Versuch der Kriminalisierung der Aktion reichte - bestätigte zum einen, dass die krisenhafte Situation im Stadtverband andauert. Zum Zweiten wurde damit die Chance auf eine Veränderung der Situation weitgehend vertan.

2.

Die Partei DIE LINKE in Dresden befindet sich im Zustand einer Spaltung. Ging es vor zwei Jahren noch um Differenzen und erhebliche Meinungsunterschiede und vor einem Jahr noch um die Spaltung der Fraktion im Stadtrat Dresden, so geht es jetzt bereits darum, ob die Partei sich spaltet bzw. gespalten wird. Bereits die 117 Austritte seit Gründung der Partei DIE LINKE in Dresden signalisieren eine krisenhafte Entwicklung. Soll diese Spaltung noch verhindert werden, kommt es darauf an, die Entwicklung der letzten Jahre zu analysieren. Die Fragen lauten: Was ist geschehen? Warum ist es geschehen? Dieser Weg der PDS, respektive der Partei DIE LINKE, führt – wenn er nicht gestoppt wird – in Dresden in die politische Bedeutungslosigkeit.

3.

Wichtige Bestandteile des Gründungskonsenses der PDS bei ihrer Entstehung im Herbst 89 waren die Verinnerlichung der Demokratie und damit verbunden die Anerkennung des linken Pluralismus innerhalb der Partei. Die Entwicklung zu einer offenen Partei, zu einer Partei der „Kümmerer“ war auf dieser Basis möglich. Die PDS in Dresden gewann damit Vertrauen und Verantwortung. Sie war die stabilste politische Gegenkraft zur CDU. Sie war eine Partei für den Alltag und den Wahltag. Sie war eine Partei der Begegnungen und (eingeschränkt) auch eine der Kultur.

Heute haben viele der damaligen Protagonisten wie Dr. Bernd Möller, Dr. Heidrun Laudel oder Christine Ostrowski die Partei verlassen. Persönlichkeiten wie u.a. Ronald Weckesser, die über ein Jahrzehnt für die Partei standen, wurden zu unerwünschten Personen gemacht. Und das öffentliche Leben der Partei ist immer mehr eingeschlafen. Im Haus der Begegnung entfallen die Begegnungen.

4.

Wir, die Mitglieder der Initiative Demokratischer Sozialismus, konstatieren einen erheblichen Mangel an politischer Kultur – besser gesagt, die Abwesenheit politischer Kultur im Stadtverband der Partei. Im Grunde wird mit dem Konsens der Gründung gebrochen. Politisch notwendiger Streit um die besten Lösungen wird seit langem nicht mehr solidarisch und demokratisch geführt, sondern instrumentalisiert und ideologisiert. Das Verdrängen von politischen Kontrahenten aus der Partei, aus ihren Ämtern und Mandaten ist heute wesentlicher Baustein der Politik, das Ringen um Gestaltung tritt in den Hintergrund.

Mit der Gründung, dem Zusammenschluss von PDS und WASG zur Partei DIE LINKE hat sich diese Situation verschärft – aber sie ist nicht die Ursache. Heute stehen sich verschiedene Vertreter der beiden ehemaligen Parteien in den jeweiligen „Lagern“ gegenüber. Aus unserer Sicht versucht ein Lager, das Monopol darauf zu erlangen, allein wahrhaftig LINKS zu sein, allein am besten zu wissen, was der richtige linke Weg ist. Dadurch wird eine neue „Parteilinie“ erschaffen und jene, die andere Lösungen für konkrete soziale Probleme vorschlagen, werden nicht mehr gehört, sondern ausgegrenzt oder als CDU-nah stigmatisiert.

Und wer so „links“ geadelt ist, beansprucht nunmehr eben auch die Ämter und Mandate dieser Partei. Dann erscheint es als folgerichtig, die von der eigenen, für einzig wahr gehaltenen Linie abweichenden Kontrahenten innerhalb der Partei von ihren Einflussmöglichkeiten, ihren Ämtern und Mandaten zu verdrängen. Auf deren Erfahrungen, Kompetenz, die erworbene Anerkennung bei anderen politischen Akteuren wird verzichtet. Wir meinen aber, dass eine moderne linke Partei das Potenzial und Engagement aller ihrer Mitglieder dringend braucht und es zusammenführen muss. Und gerade im Streiten um die besten Lösungen für konkrete soziale Probleme müssen der Respekt vor der Integrität der Anderen und das Vertrauen in sie als Mitstreiter und Mitstreiterinnen aufrecht erhalten werden.

Denn nicht der verbale Anspruch, einzig wahrhafte Partei für die sozial Schwachen zu sein, nicht wohltönende Losungen und Ziele überzeugen die Menschen und schaffen politisches Vertrauen, sondern allein die Verlässlichkeit, mit diesem Bemühen in der Gesellschaft verankert zu sein, es auch in der eigenen Partei vorzuleben, sich um die Probleme der Schwachen wirklich menschlich und lösungsorientiert zu kümmern.

5.

Wir folgern: Das ist der Abschied vom Versuch eine „andere“ Partei zu werden, eine andere Partei zu sein. Die LINKE zu Dresden ist somit tatsächlich in der Bundesrepublik „angekommen“ und praktiziert selbst all das, was Parteienmüdigkeit und Parteienverdruss begründet.

Wir konstatieren einen ausgesprochenen Mangel an Demokratie. Denn Demokratie ist viel mehr als die Dominanz von Mehrheiten über Minderheiten, ist nicht einfach das Beherrschen von Verfahren und Geschäftsordnungen. Demokratie leben heißt, sich verständigen und streiten auf allen politischen Ebenen. Heißt, gewillt zu sein, die Argumente anderer anzuhören und ernsthaft zu prüfen, um sachgerecht entscheiden zu können.

Und schließlich bedeutet politische Führung nicht zuerst, zu bestimmen, sondern Arbeitsprozesse zu führen. Die Dresdner politisch Verantwortlichen, die Mitglieder des Stadtvorstands, vermitteln aber den Eindruck, sie seien die Partei. Andere, die das anders sehen, gelten schnell als Oppositionelle, Störer und Meckerer.

6.

Dies geht einher mit einer schier unglaublichen Missachtung der Mitgliederbasis der Partei. Jeder Versuch, aus dieser heraus – und es gab dies mehrfach - zwischen unterschiedlichen Meinungsansätzen zu vermitteln, wurde vom Vorstand abgewehrt, denunziert, erschwert. Und zugleich wird die schweigende Mehrheit der Mitglieder als Zustimmung gewertet. Der verständliche Wunsch nach einer kulturvollen Lösung wird umgefälscht in die Politik einer antagonistischen Lösung. Die Spaltung der Stadtratsfraktion und die nachfolgenden Beschlüsse des Vorstands sowie des Parteitags waren nichts weiter als Schritte auf einem verhängnisvollen Weg. Sie wurden zwar mehrheitlich gefasst, aber unter der behaupteten Voraussetzung, dass es den Initiatoren tatsächlich um eine der Partei gemäße Lösung ginge. Denn parallel dazu wurde das Maß verändert, mit dem die Partei misst.

Die Mehrheit der Partei wurde immer häufiger dazu bewegt, Beschlüsse zu fassen, die mit den demokratischen Grundlagen und Regeln der Partei nicht übereinstimmen, z.B. solche, die von vornherein mit Sanktionen gegen jene verbunden waren, die sich daran nicht halten. Dabei wurde der Wunsch der Basis genutzt, in der Öffentlichkeit möglichst keine Auseinandersetzungen sichtbar werden zu lassen. Zugleich wurde die Basis über die Auseinandersetzungen einseitig und sogar bewusst wider besseres Wissen informiert.

7.

Linke Politik ist nicht fehlerfrei. Politische Entscheidungen werden von Menschen getroffen, die sich irren können. Manchmal stellt sich erst später heraus, was richtig oder falsch war. Insofern müssen alle Entscheidungen, die getroffen werden, immer von der Partei kritisierbar sein.

Wenn wir also feststellen, dass die Zustimmung von drei Mandatsträgern der Linksfraktion.PDS zum Antrag des Nationalen Bündnisses am 11. September im Stadtrat ein riesiger Fehler war, dann ist das unser Recht. Überhaupt: Alle Demokraten müssen sich fragen, wie es zu diesem Abstimmungsergebnis kommen konnte und Schlussfolgerungen ziehen. Dazu gehört, über bessere Strategien usw. nachzudenken, wie auch, Initiativen antifaschistischer Intention viel besser als bisher zu unterstützen. Wenn aber genau diese Abstimmung zum Anlass genommen wird, die Genossinnen und Genossen aus ihren Ämtern und von ihrem Arbeitsplatz zu entfernen, aus Partei und Fraktionen ausschließen zu wollen – sie sogar mit Faschisten auf eine Stufe zu stellen – dann ist der Bogen überspannt. Gerade daran erweist sich, dass es den Betreibern solcher Unterfangen nicht um eine Stärkung des Antifaschismus, nicht um linke Selbstkritik geht, sondern um „Abrechnung“. Das ist ein Weg zurück.

8.

Natürlich findet diese Entwicklung nicht zufällig hier statt. Aber sie ist auch zu verstehen in Zusammenhang mit der Entwicklung der gesamten Partei. Zum einem gewinnt diese bundesweit derzeit erheblich an Einfluss, an Vertrauen und an Wählerinnen und Wählern. Zum anderen werden aber gerade gegenwärtig Erfahrungen der PDS außer acht gelassen, die für eine moderne linke Partei kennzeichnend sein sollten. Der Demokratische Sozialismus als Praxis der PDS verstanden, gerät in Gefahr, inhaltlich aus Programm und Handeln verdrängt zu werden.

Die Reduktion linker Politik darauf, etwas für nicht privilegierte Menschengruppen zu bewirken, vernachlässigt die Tatsache, dass es darauf ankommt, Verhältnisse so zu verändern, dass die Betroffenen selbst etwas für sich tun können, dass Sie sich in die Gesellschaft aktiv einmischen. Die Verengung des Politischen auf parlamentarische Arbeit befördert den Eindruck, als sei die Partei nur dafür da, Wahlen zu absolvieren – während für die eigentliche Politik dann die Gewählten zuständig seien. Aber dies ist eine falsche Vorstellung.

Eine linke Führerpartei ist ein Unding an sich. Wenn eine Partei, ihre Ziele selbst nicht lebt, wird sie unglaubwürdig und macht sich überflüssig. Die vermeintlich gute Absicht allein wird unglaubwürdig angesichts solcher Praxis.

9.

Wir sagen, die Partei ist in Dresden nicht nur in Gefahr, sondern sie ist auf dem Weg, sich von all dem zu lösen, was sie ausmachte: von ihrer Geschichte, von ihren Persönlichkeiten, von ihren Stärken. Ihre Protagonisten mögen sich als Linke verstehen – aber dem Inhalt und vor allem dem Stil nach kann man diese Praxis nur noch mit höchstem Bedenken als links bezeichnen. Änderung tut tatsächlich Not. Sie begänne damit als Mindestvoraussetzung, die Würde und Integrität eines jeden und einer jeden zu respektieren.

Auseinandersetzungen in der Sache sind notwendig – aber sie sind auch nur dann möglich, wenn der Respekt vor der Persönlichkeit, wenn die Integrität des Individuums geachtet wird. Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden notierte Rosa Luxemburg in ihrem Artikel zur Russischen Revolution. Ohne diese Freiheit gibt es keine Entwicklung. Und keine LINKE.

10.

Wir sehen jetzt zuerst die Aufgabe, verloren gegangenes Vertrauen zueinander wieder zu erarbeiten. Wenn die Partei in Dresden eine antagonistische Lösung ihrer Probleme weiter vertritt, so bedeut das nur, dass sie den Weg hin zu einer Sekte einschlagen wird. Wir haben uns seinerzeit als Initiative Demokratischer Sozialisten gegründet, um einen solchen Weg zu verhindern. Wenn uns das nicht gelungen ist, so zeigt das auch unsere eigenen Schwächen und Unfertigkeiten. Aber wir haben es zumindest versucht. Aber das bedeutet nicht, dass wir den jetzigen Weg der Führung des Stadtverbandes, sollte dieser nicht die Kraft finden, ihn zu ändern, so weiterhin mittragen werden. Wir werden dann Mittel und Wege suchen und finden, um die Politik eines demokratischen Sozialismus auch außerhalb der toten Gleise dieses politischen Führungsstils zu vertreten.

Dresden, den 15. Oktober 2008