Donnerstag, 20. Oktober 2011

Parteitagsgeflüster


Forum Demokratischer Sozialismus ruft zum aktiven Einbringen eigener Positionen auf

Im Vorfeld des Erfurter Programm-Parteitages (2. Tagung des 2. Parteitages der LINKEN) hat das Forum Demokratischer Sozialismus einen Newsletter mit Empfehlungen und Hinweisen herausgegeben, dessen klare und verständliche Aussage lautet:
Es liegt an uns deutlich zu machen, dass
  • wir weiterhin den Anspruch haben, „Kümmererpartei“ und die Partei für den Alltag, nicht nur für den Wahltag zu sein,
  • wir als LINKE mehr zu bieten haben als „Wege zum Kommunismus“, halbseidene Abgrenzungen vom Mauerbau oder Glückwunschschreiben an Fidel Castro. 
 Es muss unser Ziel sein, durch eigene kluge Redebeiträge aktiv in die Debatte einzugreifen und den Deutungsspielraum derjenigen zu begrenzen, die meinen, dass reformerische und emanzipatorische Positionen die LINKE zur „Partei der Stöckchenspringer“ machen.
Der Verzicht sowohl auf links-geschwollenes Parteisprech als auch auf selbstzufriedenes "weiter so!" hat eine Chance verdient, sich auf dem Parteitag zu verwirklichen.

Freitag, 26. August 2011

Ergänzendes zum Stichwort "Mannheim 1995"

In einem unserer Lieblings-Leseblogs - Lafontaines Linke - erschien heute ein Verweis auf die Rede Oskar Lafontaines auf dem SPD-Parteitag 1995 in Mannheim, wo er die einsame Spitze Rudolf Scharping operativ entfernte um sich selbst doppelplusgut, also sprachlich und gedanklich voll innovativ, zur Rettung der SPD letztmalig aufzuopfern. Wie es der Lausbub Peter Ensikat aus Finsterwalde erlebt hat, schrieb er gewissenhaft in sein Buch "Uns gabs nur einmal!" hinein. Hieraus geben wir dem hochverehrten Publikum heute eine Leseprobe (als aktuelle Buchempfehlung):

DIE MACHT DES WORTES
von Peter Ensikat

Nachdem man so viele Jahre über die angebliche Macht des Wortes nur noch hat lachen können, ist man jetzt - im Jahre Eins nach Lafontaines Parteitagsrede in Mannheim - fast geneigt, an eben solche Macht wieder zu glauben. Hat er nicht mit einer ein­zigen Rede über Nacht aus einer hundertprozentigen Zustim­mung zu Scharping eine fast siebzigprozentige Zustimmung für sich gemacht? Und dabei scheint kaum einer seiner begeisterten Zuhörer ganz genau zu wissen, was er eigentlich gesagt hat. Nur WIE er gesprochen hat! Mit dieser Überzeugung, dieser Begei­sterungsfähigkeit, die den Zuhörer das WAS der Rede vergessen ließ.

Dabei hat er sinngemäß sogar Lenin zitiert, aber das kann er als Wessi nicht ahnen. Denn ausgerechnet dieser Lenin hat gesagt: »Wer zünden will, muß selber brennen!« Und dann hat Lafontaine noch gesagt, der Satz ALLE MENSCHEN WER­DEN BRÜDER! stamme aus der Internationale. Das trug er mit so viel Feuer vor, daß die Delegierten statt in Gelächter in Beifallbekundungen ausbrachen. Es konnte bisher noch nicht ermittelt werden, ob das nun ein Zeichen tiefster Unbildung oder höchster Begeisterungsfähigkeit bei den Genossen Delegierten war. Jedenfalls scheint wieder einmal bewiesen: Je ungebildeter die Menschen sind, desto begeisterungsfähiger sind sie auch.

Und wenn ich mich nun noch daranmache, Lafontaines Mann­heimer Rede mit, sagen wir mal, Heines LORELEI zu verglei­chen ... Für SPD-Genossen und ihre Bildungsbrüder der Hinweis: Es handelt sich nicht um das alte Volkslied »Wann wir schreiten Seit' an Seit'«, sondern um »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten«. Das wiederum darf man nicht verwechseln mit Schillers Ode an die Freude, in der es heißt: »Völker hört die Signale!«

Also hier Lafontaines Mannheimer Rede und da Heines »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten«. Heines Text ist zwar vertont worden und wird, allerdings nicht auf SPD-Parteitagen, biswei­len gesungen. Von Lafontaines Rede weiß man eigentlich nur noch, daß er sie hielt. Ihr Verfasser wurde dank dieser Rede Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Heinrich Heine hat es nicht einmal, wie nun wieder Rudolf Scharping, zum Stellvertreter gebracht. Da er sogar einmal persönlicher Freund von Karl Marx war, hätte es Heine heute ver­mutlich nicht mal ganz leicht, überhaupt Mitglied der SPD zu werden.

Zusammenfassend kann man sagen: Heinrich Heine ist tot. Was er geschrieben hat, ist so lebendig wie eh und je. Oskar Lafontaine lebt. Was er in Mannheim gesagt hat, weiß kein Mensch mehr. Es muß wohl ein Machtwort gewesen sein.
(1995)
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Nur für Wessis: Wer zum Teufel ist dieser Ensikat? (anklicken!)

Donnerstag, 18. August 2011

Versuch zur Verdächtigungskultur (Lothar Bisky 2010)


(Erschienen am 30.01.2010 im NEUEN DEUTSCHLAND)

von Lothar  Bisky


Eric Hobsbawn hat das zwanzigste Jahrhundert treffend als »Jahrhundert der Extreme« bezeichnet. Zwischen und in den politischen und ideologischen Extremen gedieh die Verdächtigungskultur. Markante historische Daten wurden zu Symbolen der zu Beginn des Jahrhunderts noch sozialdemokratisch vereinten Linken: Bewilligung der Kriegskredite, Oktoberrevolution, Novemberrevolution, Gründung der KPD, Ebert, Noske und Scheidemann, Luxemburg und Liebknecht, Räterepublik. Sozialdemokraten und Kommunisten gingen getrennte Wege und schlugen aufeinander ein, statt ihre Kräfte gegen Hitler zu vereinen. Das rächte sich bitterlich. Abtauchen, Exil oder Widerstand und Konzentrationslager waren verbliebene Möglichkeiten für die politische Linke bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges.

Lothar Bisky 2005
im Haus des Buches  (Dresden)
Zwischenzeitlich hatte Stalin »den Wärmestrom in der Geschichte«, wie Heinrich Mann die Oktoberrevolution nannte, in der sibirischen Kälte des Gulag erstarren lassen. Der Kalte Krieg besetzte nach dem heißen Krieg die Herzen und Hirne vieler Menschen. Die Verdächtigungskultur integrierte die sehr unterschiedlichen politischen Entwicklungen in hilfreiche Schablonen: Stalinisten hier, Arbeiterverräter da, »Sozialdemokratismus« auf der einen und »Kommunisten« auf der anderen Seite galten als kaum zu überbietende pejorative (abwertende) Bezeichnungen. Die Verdächtigung, der einen oder anderen »Kategorie« zuzugehören, reichte zur vernichtenden Abstempelung des jeweils so Benannten.

Der Kalte Krieg war die Blütezeit der Verdächtigungskultur, und alle, die da hofften, sie würde mit ihm verschwinden, gingen in die Irre. Gewiss, sie ist heute abgemildert, aber sie strahlt noch weitläufig aus, als ob man immer noch dem Frieden nicht so ganz trauen könne: als hätten die Kommunisten noch Budjonnys Reiterarmee im Verborgenen zur Verfügung oder die Sozialdemokratie Noske im Hinterhalt versteckt.

Samstag, 2. April 2011

Der Klügere gibt nach, der Dümmere macht weiter

“Unser herrschender Marxismus fürchtet leider jeden Gedankenflug wie ein alter Gichtonkel”
- Rosa Luxemburg, 1913


Der Klügere gibt nach, der Dümmere macht weiter
von Esther Vilar (1987)
Esther Vilar
... In diesem Sieg der Intelligenz war auch bereits ihre Niederlage enthalten. Am Anfang jeder Initiative, die zur Entmachtung der Phantasielosigkeit führt - Revolu­tion -, müssen notgedrungen phantasievolle Menschen - Revolutionäre - stehen. Nur sie können sich ja in die Geächteten hineindenken. Nur sie haben genügend Vorstel­lungskraft, um sich etwa die durch Zerstörung der Natur, radioaktive Verseuchung, Überbevölkerung oder Zusam­menbruch der Weltwirtschaft zu erwartenden Verheerungen auszumalen.

Doch nach dem Anfang folgt immer auch bald das Ende ihrer Führerschaft. Sobald nämlich eine dieser von ihnen begründeten »Bewegungen« ihre ersten Schwierigkeiten hinter sich läßt und so viel Zulauf findet, daß plötzlich in unserer Gesellschaft eine neue Machtposition entsteht, wird der Phantasievolle der ersten Stunde durch eine jener Personen vertrieben, die, wie wir sahen, ihre Beharrlichkeit, ihr Fleiß und ihr Selbstbewußtsein dazu prädestinieren, einflußreiche Posten an sich zu bringen und zu behalten. Die Berufung des Revolutionärs wird zum Beruf des Funk­tionärs - das weitere Schicksal der Idee ist durch Intelligenz nur noch ausnahmsweise zu beeinflussen.

Montag, 10. Januar 2011

Zugeschlagene Türen zum Kommunismus

Eine gewisse Distanz zwischen Wort und Sache ...

Beim Betrachten der Fotos von der Demonstration zu Karl und Rosa fiel mir ein, dass ich Ende der achtziger Jahre ein Lied dazu schrieb, das ich meinem Freund Klaus Peter Schwarz widmete. Wenn ich an die jüngste unglückliche Debatte denke, mit der die Vorsitzende der Linken gedachte, die Kommunismusfrage mit der Zukunftsfrage zu verbinden, fiel mir ein, ob es nicht auch hier richtiger wäre, dem Rat von Karl Marx zu folgen, die Toten die Toten begraben zu lassen.

Bernd Rump 2010
Über mögliche Wege aus der Diktatur des Geldes zu reden, scheint mir notwendiger denn je, stellt man jedoch die Fragen nach etwaigen Türen zum Kommunismus, muss man sich zumindest vergegenwärtigen, dass diese Türen von Millionen Toten geschlossen sind, die von Stalin, Mao oder Pol Pot und anderen im Namen des Kommunismus umgebracht wurden.

Vor mehr als zehn Jahren in Angkor erzählte mir unser Reiseführer sein Leben. Er war der einzige Überlebende seiner Familie und seiner Schulklasse. Über den Begriff Kommunismus war die Diskussion entstanden, aber sein Begriff davon war seine Geschichte. Und ich verstand, dass diese Realität nicht zu löschen ist. Es geht wohl nicht nur um einen anderen Weg, sondern um eine andere Zukunft, die noch keinen Namen hat.