Freitag, 26. August 2011

Ergänzendes zum Stichwort "Mannheim 1995"

In einem unserer Lieblings-Leseblogs - Lafontaines Linke - erschien heute ein Verweis auf die Rede Oskar Lafontaines auf dem SPD-Parteitag 1995 in Mannheim, wo er die einsame Spitze Rudolf Scharping operativ entfernte um sich selbst doppelplusgut, also sprachlich und gedanklich voll innovativ, zur Rettung der SPD letztmalig aufzuopfern. Wie es der Lausbub Peter Ensikat aus Finsterwalde erlebt hat, schrieb er gewissenhaft in sein Buch "Uns gabs nur einmal!" hinein. Hieraus geben wir dem hochverehrten Publikum heute eine Leseprobe (als aktuelle Buchempfehlung):

DIE MACHT DES WORTES
von Peter Ensikat

Nachdem man so viele Jahre über die angebliche Macht des Wortes nur noch hat lachen können, ist man jetzt - im Jahre Eins nach Lafontaines Parteitagsrede in Mannheim - fast geneigt, an eben solche Macht wieder zu glauben. Hat er nicht mit einer ein­zigen Rede über Nacht aus einer hundertprozentigen Zustim­mung zu Scharping eine fast siebzigprozentige Zustimmung für sich gemacht? Und dabei scheint kaum einer seiner begeisterten Zuhörer ganz genau zu wissen, was er eigentlich gesagt hat. Nur WIE er gesprochen hat! Mit dieser Überzeugung, dieser Begei­sterungsfähigkeit, die den Zuhörer das WAS der Rede vergessen ließ.

Dabei hat er sinngemäß sogar Lenin zitiert, aber das kann er als Wessi nicht ahnen. Denn ausgerechnet dieser Lenin hat gesagt: »Wer zünden will, muß selber brennen!« Und dann hat Lafontaine noch gesagt, der Satz ALLE MENSCHEN WER­DEN BRÜDER! stamme aus der Internationale. Das trug er mit so viel Feuer vor, daß die Delegierten statt in Gelächter in Beifallbekundungen ausbrachen. Es konnte bisher noch nicht ermittelt werden, ob das nun ein Zeichen tiefster Unbildung oder höchster Begeisterungsfähigkeit bei den Genossen Delegierten war. Jedenfalls scheint wieder einmal bewiesen: Je ungebildeter die Menschen sind, desto begeisterungsfähiger sind sie auch.

Und wenn ich mich nun noch daranmache, Lafontaines Mann­heimer Rede mit, sagen wir mal, Heines LORELEI zu verglei­chen ... Für SPD-Genossen und ihre Bildungsbrüder der Hinweis: Es handelt sich nicht um das alte Volkslied »Wann wir schreiten Seit' an Seit'«, sondern um »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten«. Das wiederum darf man nicht verwechseln mit Schillers Ode an die Freude, in der es heißt: »Völker hört die Signale!«

Also hier Lafontaines Mannheimer Rede und da Heines »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten«. Heines Text ist zwar vertont worden und wird, allerdings nicht auf SPD-Parteitagen, biswei­len gesungen. Von Lafontaines Rede weiß man eigentlich nur noch, daß er sie hielt. Ihr Verfasser wurde dank dieser Rede Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Heinrich Heine hat es nicht einmal, wie nun wieder Rudolf Scharping, zum Stellvertreter gebracht. Da er sogar einmal persönlicher Freund von Karl Marx war, hätte es Heine heute ver­mutlich nicht mal ganz leicht, überhaupt Mitglied der SPD zu werden.

Zusammenfassend kann man sagen: Heinrich Heine ist tot. Was er geschrieben hat, ist so lebendig wie eh und je. Oskar Lafontaine lebt. Was er in Mannheim gesagt hat, weiß kein Mensch mehr. Es muß wohl ein Machtwort gewesen sein.
(1995)
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Nur für Wessis: Wer zum Teufel ist dieser Ensikat? (anklicken!)

Donnerstag, 18. August 2011

Versuch zur Verdächtigungskultur (Lothar Bisky 2010)


(Erschienen am 30.01.2010 im NEUEN DEUTSCHLAND)

von Lothar  Bisky


Eric Hobsbawn hat das zwanzigste Jahrhundert treffend als »Jahrhundert der Extreme« bezeichnet. Zwischen und in den politischen und ideologischen Extremen gedieh die Verdächtigungskultur. Markante historische Daten wurden zu Symbolen der zu Beginn des Jahrhunderts noch sozialdemokratisch vereinten Linken: Bewilligung der Kriegskredite, Oktoberrevolution, Novemberrevolution, Gründung der KPD, Ebert, Noske und Scheidemann, Luxemburg und Liebknecht, Räterepublik. Sozialdemokraten und Kommunisten gingen getrennte Wege und schlugen aufeinander ein, statt ihre Kräfte gegen Hitler zu vereinen. Das rächte sich bitterlich. Abtauchen, Exil oder Widerstand und Konzentrationslager waren verbliebene Möglichkeiten für die politische Linke bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges.

Lothar Bisky 2005
im Haus des Buches  (Dresden)
Zwischenzeitlich hatte Stalin »den Wärmestrom in der Geschichte«, wie Heinrich Mann die Oktoberrevolution nannte, in der sibirischen Kälte des Gulag erstarren lassen. Der Kalte Krieg besetzte nach dem heißen Krieg die Herzen und Hirne vieler Menschen. Die Verdächtigungskultur integrierte die sehr unterschiedlichen politischen Entwicklungen in hilfreiche Schablonen: Stalinisten hier, Arbeiterverräter da, »Sozialdemokratismus« auf der einen und »Kommunisten« auf der anderen Seite galten als kaum zu überbietende pejorative (abwertende) Bezeichnungen. Die Verdächtigung, der einen oder anderen »Kategorie« zuzugehören, reichte zur vernichtenden Abstempelung des jeweils so Benannten.

Der Kalte Krieg war die Blütezeit der Verdächtigungskultur, und alle, die da hofften, sie würde mit ihm verschwinden, gingen in die Irre. Gewiss, sie ist heute abgemildert, aber sie strahlt noch weitläufig aus, als ob man immer noch dem Frieden nicht so ganz trauen könne: als hätten die Kommunisten noch Budjonnys Reiterarmee im Verborgenen zur Verfügung oder die Sozialdemokratie Noske im Hinterhalt versteckt.