Samstag, 7. Juli 2012

Die IDS nach Göttingen

Der Göttinger Parteitag ist Geschichte und man könnte denken, dass man nun zur Tagesordnung übergehen kann. Viele Einschätzungen des Parteitages eröffnen Chancen für eine Einigung und Sicherung von Politikfähigkeit unserer Partei. Doch zugleich wird deutlich gemacht, dass der Parteitag die bestehenden Probleme noch nicht gelöst hat - und auch nicht lösen konnte. Die Probleme werden in der Regel aber nicht konkret und nicht in ihren Ausmaßen genannt. Mit dem folgenden Standpunkt der IDS wollen wir die kritische Sicht auf den Zustand unserer Partei fördern. ....

Standpunkt der IDS zum Göttinger Parteitag

Der Parteitag "Der Linken" in Göttingen zeigte katastrophale Zustände der Partei offen auf. Es gibt offenbar große inhaltliche und personelle Differenzen in der Partei. Dies ist aber nicht zuerst das Problem, sondern es sind die erheblichen Defizite in demokratischen Einstellungen und Verhalten von ganzen Gruppierungen in der Partei, die sich im Umgang miteinander zeigen.

Schon im Vorfeld des Parteitages, auf dem Parteitag selber und danach gibt und gab es Entscheidungen und Vorfälle welche der Satzung, dem Programm und den allgemeinen Zielen der Partei widersprechen.

Die Kandidatur von Dietmar Bartsch war gegenüber der Mitgliedschaft der Partei ehrlich und offen. Sie war sowohl mit einem inhaltlichen Angebot verbunden, als auch mit dem Angebot, sich einem Mitgliederentscheids zu stellen. Sie war vor allem aber rechtzeitig und so konnte sich die Basis mit diesem Angebot auch beschäftigen. 

Die Ablehnung eines Mitgliederentscheides durch den Bundesvorstand mag einem Gutachten des Auftraggebers (Bundesvorstand) entsprechen, aber sie widerspricht den Forderungen der Partei nach mehr Bürgerbeteiligung. Eine Mitgliederbefragung wäre zumindest möglich gewesen und hätte den
Zielen der Partei entsprochen. Es ist unverständlich, dass das, was wir öffentlich fordern, nicht für uns selber gelten soll.

Das Verhalten von Oskar Lafontaines zu einer eventuellen Kandidatur widerspricht unseren demokratischen Gepflogenheiten und disqualifiziert sich selbst… 

In Vorbereitung des Parteitages gab es verschiedene Initiativen. Im Vorstand der Partei wurde massiv Druck ausgeübt, eine dieser Initiativen nicht zu unterstützen. Es wurden sogar arbeitsrechtliche Konsequenzen angedroht. Entspricht dies einer solidarischen, demokratischen, sozialistischen Partei?
Der Mangel der weiteren Kandidaturen war, dass sie zu einem sehr späten Zeitpunkt erfolgten, weswegen die damit verbundenen inhaltliche Konzepte an der Basis kaum diskutiert werden konnten. Zum Zeitpunkt der Basiskonferenzen im Vorfeld des Parteitags war daher eine Einflussnahme der Mitgliedschaft auf die Debatte damit im Grunde unmöglich und offensichtlich nicht gewollt.

Die Delegierten liefen so Gefahr, zum Spielball verschiedener Interessengruppen und Interessen Einzelner zu werden. Die letztlich getroffenen Entscheidungen sind in diesem Zusammenhang zwar zu respektieren, aber zugleich muss deren Akzeptanz in und außerhalb der Partei erst noch erworben werden.
Der neuen Doppelspitze der Partei, dem neuen Vorstand und auch der Bundestagsfraktion obliegt es zuerst, das Vertrauen der Basis wiederzugewinnen. Dazu gehören eben nicht nur Gespräche mit Vorständen sondern auch Treffen mit der Basis, in denen nicht nur Fragen gestellt, sondern auch beantwortet werden, die Basis selbst als politischer Akteur gefragt ist.

Insbesondere das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler gilt es wieder und neu zu gewinnen. Das in den letzten zwei Jahren verlorene Vertrauen zeigt, dass die o.g. Defekte schwerwiegend sind, dass es darum geht, dass einerseits die Politik der Linken deutlicher, durchschaubarer und verständlicher gemacht werden muss - aber andererseits zeigt sich auch, dass die Politik überhaupt wiedergewonnen werden muss. Es genügt nicht, sich auf Positionen auszuruhen, mögen sie auch noch so links und fortschrittlich sein. Politik bedeutet eine ständige Auseinandersetzung und die Weiterentwicklung der Positionen. Sie muss Veränderungen erfassen und neue Fragen debattieren und verständlich beantworten.

Die Krise, in der wir uns gesellschaftlich befinden ist auch eine Krise der Politik. Die Krise der Linken aber macht es nur schwer möglich, hier wirklich Einfluss zu nehmen. Im Gegenteil: die Linke erscheint in den Augen vieler Bürgerinnen und Bürger sprachlos, unverständlich, selbstverliebt und mit sich selbst beschäftigt. Sie bietet keine Hilfe zur Selbsthilfe sondern beschränkt sich viel zu sehr auf Kritik, die zudem oft viel zu allgemein ist. 

Mit der Wahl in Göttingen tritt eine neue Generation in volle Verantwortung für linke Politik. Diese Generation wurde nicht mehr vornehmlich unter den Verhältnissen vor der Wende sozialisiert, sondern ist mit der widersprüchlichen Einheit Deutschlands, ist unter der Ägide neoliberaler Politik und neoliberalen Denkens und entstehender Informationsgesellschaft politisch aktiv geworden. Diese Generation versteht sich nicht als eine Ost - oder Westdeutsche. Sie versucht global zu denken und lokal zu handeln. Sie stellt alte Fragen anders und sie stellt neue Fragen in den Mittelpunkt des Handelns, Das ist notwendig, will die Linke nicht in ihrer Tradition befangen bleiben und damit unfähig sein, heute aktuelle und verständliche Antworten zu geben. Zugleich erwächst aber zwischen Tradition und Modeme auch eine Spannung, die produktiv gemacht werden muss: Eine Spannung, wie sie real in der gesamten Gesellschaft zu spüren ist. Es wird die Kunst der nunmehr Verantwortlichen in der Partei sein, deren 'Politik behutsam und konsequent daraus zu entwickeln, einen Bruch zu vermeiden und zugleich im 21. Jahrhundert zu agieren. 

Vor und mit Göttingen drohte ein Rückfall in die Tradition. Diese Gefahr ist mit dem Ergebnis des Parteitags mitnichten ausgeräumt, aber Göttingen markiert zugleich eine Möglichkeit für eine zukunftsfähige Entwicklung.
Dresden, den 26.6.2012